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Ausstellung Norbert Edel „Bilder“ – Einführung: Helmuth Kern
Als mich Norbert Edel vor einigen Wochen fragte, ob ich die Einführung in seine Ausstellung übernehmen würde, habe ich spontan zugesagt – allerdings mit einer Einschränkung, und die betraf den Inhalt meiner Einführung.
Ich wollte nicht nach den Motto: „und was hat uns der Künstler zu sagen?“ verfahren. Ich wollte die Bilder als Dialogpartner ernstnehmen und einen Weg gehen, der sich auf das Bild zu bewegt – und dann am Ende, wenn er vielleicht im Bild angekommen ist und denjenigen findet, der diese Bilder gemacht und in die Öffentlichkeit entlassen hat - und erst dann sollten der Künstler und seine Intentionen zur Sprache kommen.
Vielleicht ist es ein gewagtes Unterfangen, denn vielleicht komme ich gar nicht dort an, wo der Künstler steht und wofür er steht.
Wenn das so wäre, dann könnte ich ja in einem zweiten Teil das darstellen, was den Künstler bewegt.
Und auf diese Methode hat sich Norbert Edel eingelassen.
Also wagen wir es.
„Stell Dir vor, das Bild sieht dich, aber Du siehst es nicht“.
Dieser Satz ist das Bild eines zeitgenössischen Künstlers aus der Schweiz: Rémy Zaugg.
Das Bild sieht uns, wir sehen es nicht. Warum eigentlich nicht?
Sehen wir die Bilder von Norbert Edel, sehen wir sie als Gegenüber zuerst, in allen Einzelheiten.
Sehen wir sie wie eine Fährte, deren Kenntnis etwas über denjenigen verrät, der sie gemacht hat.
Am Anfang steht ein geduldiges und langsames Sehen.
Mit dem schnellen Blick ist da nichts getan.
Also schauen wir das an, was wir sehen:
Wir sehen: Bildträger in unterschiedlicher Größe und in unterschiedlichem Format: hochrechteckig, querrechteckig.
Auch extreme Hochformate, dicht nebeneinander, sie wachsen zu einem neuen Format zusammen: quadratisch oder mehr querrechteckig.
Wir sehen: Karton oder Leinwand, auf die gemalt wurde.
Leinwand, deren Textur unter der Farbe sichtbar ist, oder Textur, die durch eine dicke Schicht von Farbe verdeckt wird.
Wir sehen: Farben unterschiedlich dick oder dünn, fließend, verlaufend, vertrieben, oder auch exakt begrenzt.
Farbtöne, verwandt und kontrastierend.
Leuchtend und dunkel.
Wir sehen Formen: Organische und geometrische, hart konturierte und mit fließenden Übergängen, ausgedehnt über das Format des Bildträgers oder zusammengezogen, in unterschiedlicher Richtung als Linienverläufe oder als Punkte.
Mehr ist eigentlich nicht zu sehen – doch erinnern wir uns an das Bild der Fährte.
Es ist klar, was wir sehen sind Spuren, die Norbert Edel gelegt hat.
Mit Absicht und mit den Mitteln, die einem Maler zur Verfügung stehen - einem Maler des 21. Jahrhunderts, der sich mit einer Kunst auseinandersetzt, die eigentlich schon lange totgesagt ist:
Mit der Kunst der Malerei.
Malen – in der Zeit einer soziologisch orientierten Konzeptkunst.
Malen – in der Zeit der digitalen Medien – wo Pixel und Rechner Bilder in Sekundenschnelle liefern, digitale Montage, digitale Bildbearbeitung, digitales Netz, weltweit, global.
Bilder malen
Malen mit dem Pinsel in der Hand, langsam, bedächtig, übermalend, zermalend, Widerständiges glättend, Glattes schärfend.
Hier beginnt die Kunst der Wahrnehmung – das sinnunterlegte Sehen.
Die Ganzheit des Formats oder die Addition durch Einzelformate ist mehr als eine formale Angelegenheit: Einheit und Trennung, Fragment als Teil und als Teil vom Ganzen.
Sichtbare oder unsichtbare Textur gibt Sinn im: Verdecken oder Sichtbar machen - oder sichtbar lassen.
Fließende oder begrenzte Farbe erinnert: loslassen oder festhalten
Fläche oder Linie, Richtung oder Bewegung.
Und dann kommt schnell mehr ins Spiel: Oben und Unten als Vorne Hinten. Formen erinnern Gegenständliches, andere sind reine Flächenformen.
Alles auf einem Bild.
Überhaupt auf einem Bild – stimmt das denn, fragen wir uns.
Wir nehmen wahr: Bilder auf Bildern, Bilder in Bildern.
Wir erkennen Teile von Bildern, die uns aus anderen Bildern bekannt sind. Der Hut – wie war das mit Beuys?
Einen Fingerabdruck riesengroß, Tiere, Menschen – Ausschnitte alles.
Ausgeschnitten, angeschnitten, ineinandergeschnitten. Überschnitten.
Wir erinnern Blickwinkel: nah, fern, dicht …
Wir assoziieren Collage, Montage.
Zitate: Der Hirsch, der röhrende, Familienbilder, Blumenstilleben, Zwillinge, Stier, Musik, Körperteile.
Das Oben und das Unten, die Frage des Standpunktes.
Der fremde Blick, der Röntgenblick.
Wir nehmen wahr, dass Norbert Edel Wirklichkeiten mischt, vermischt, von einer Ebene in die andere wandert, oder besser wandelt.
Manches verschwimmt, scheint unwichtig,
anderes bedrängend: Alptraumartig.
So weit können wir die Fährte deuten: hier arbeitet ein Mensch, dem die Wirklichkeit eine vielschichtige, manchmal schmerzliche, manchmal freudige, manchmal träumerische, manchmal bedrohende Erscheinung ist - voller Ereignisse, die vielleicht nichts miteinander zu tun haben, aber im Augenblick, dem Ausschnitt aus einem Zeitverlauf, also in der Gleichzeitigkeit zu einem Sinngefüge, eben zu einem Bild werden.
Durchsichtig oft, verhangen manchmal, quälend und lustvoll, voller Zwänge und voller Freiheit, spannungsgeladen und rätselhaft immer.
Und wir entdecken noch etwas: es gibt auf manchen Bildern so etwas wie einen Schlüssel zu der Vielschichtigkeit der Welt und ihren Bildern.
Da gibt es ein Bild mit einem roten gleichmäßigen Rechteck.
Nur Farbe, an den Grenzen schimmert ihre Komplementarität - die Ergänzungsfarbe, wie das in der Sprache der Kunstwissenschaft heißt.
Sie wissen: schaut man lange Zeit einen Farbton an und dann auf eine weiße Fläche, sieht man deren Pendant.
Dafür gibt es physiologische Gründe, selbstverständlich.
Wahrnehmungspsychologische sind auch interessant, vielleicht aufschlussreicher in diesem Fall: Hier ergänzt der Betrachter etwas. Schafft die Polarität selbst. Blickt er zurück auf den Farbton, ist dieser anders geworden – bewusster geworden.
Wir sehen Bilder, die aus Gegensätzen leben - Gegensätze nicht als Konfliktfall, sondern als kreativer Impuls. Das Bild als dialektischer Fall im Erkenntnisprozess.
Bis hierher wusste ich nichts von Nobert Edels künstlerischen Absichten.
Dann haben wir uns getroffen und ich habe ihn gefragt, zu seinen Intentionen: zu dem, was ihm wichtig ist - und zu dem, was ihm so wichtig ist, dass es gesagt werden soll.
Und so geht es nun weiter mit der Innensicht der Bilder.
Norbert Edel malt weil ihn der Prozess der Bildentstehung interessiert. Dabei ist er teils aktiv, teils passiv.
Am Anfang kennt er das Ende vom Bild nicht, und deswegen ist größte Aufmerksamkeit nötig in der Phase des Malens, in der sich das Bild seinem Abschluss nähert, wenn es fertig ist und Norbert Edel aus dem Tun auftaucht und ihm das Bild zum Gegenüber wird.
Leichter ist da schon der Anfang: Viele Anregungen für Bilder sind um ihn herum: Bilder in der Tageszeitung, in Lexika etc.
Er entscheidet sich für eines, vielleicht auch nur für einen Ausschnitt, auch der kann gedreht und gewendet werden. Er entscheidet, was dazu kommt. Das kann auch Widersprüchliches sein, neue Elemente werden eingefügt, vielleicht auch nur die Konturen eines Bildes.
Das ist ein aktiver Prozess, da trifft auch zusammen, was nicht zusammengehört.
Wichtig ist ihm beim Malen und beim fertigen Bild, dass es sich nicht auf einer einfachen, banalen Ebene auflösen lässt.
Existenzielle Themen faszinieren den Künstler: was ist Schönheit, wo zeigt sie sich? – Botanik, Blumen, Menschen,
aber auch: Grausamkeit, Verletzung, Tod, Schmerz. Zustände und Erfahrungen, die das Leben ausmachen.
Und das Thema der Gleichzeitigkeit, des Widersprüchlichen, des nicht Auflösbaren.
Norbert Edels Bilder sind Fallen. Manches, was gefällig wirkt, schön, harmonisch, abgehoben, das ist der Zugang zu etwas anderem, das viel tiefer liegt. In der Tat tiefer, oft ist es so übermalt, dass nur der Maler weiß, was unter dem glatten Schein verborgen ist, und niemand außer ihm hat es bis jetzt gesehen.
Norbert Edel hat seine Geschichte mit den Bildern, wir können eine andere haben – richtige oder falsche Lesart gibt es für ihn nicht.
Er will sich nicht mit einem unverwechselbaren Stil in der Kunstgeschichte positionieren, keinen Drang zur Originalität verspürt er.
Mit Bildern, in Bilder drückt er sich aus.